Gedanken! Rettet euch ins Internet.

„Wer schreibt, der bleibt.” Mit diesem gut gemeinten Rat wollte mich mein Opa vor allem bei möglichen Auseinandersetzungen vor Unrecht schützen: Und auch in einem weiteren Sinne beweist die umfangreiche Welt der Bücher anschaulich die Gültigkeit dieser konventionellen Lebensweisheit.

Unzählige jahrzehnte, jahrhunderte und vereinzelt sogar jahrtausende alte Schriftwerke geben zwar bis heute Auskunft über Gedanken längst verstorbener Generationen. Doch wer bedenkt die Abermillionen gedruckter Exemplare, die zwischenzeitlich verschollen, dem Feuer oder einfach dem Hausmüll zum Opfer gefallen sind? Dieser manchmal sogar mutwillig erzeugte Bücherschwund ist eigentlich kein Wunder, denn in Druckwerken geronnene Gedanken brauchen Speicher – und geschützter Raum ist auf Erden nunmal nicht unbegrenzt verfügbar. Gerade habe ich noch wertvollen Wohnraum einem neuen Bücherregal geopfert – und schon ist auch das wieder voll…

Aber hurra – jetzt eröffnet mir das Internet eine zusätzliche schöne, neue Welt: Schier unbegrenzte Wolken schaffen Freiräume für Gedachtes – die Online-Clouds! Täglich wachsen himmlische Lagerflächen für jedermanns Bilder und Texte – und das meist völlig kostenlos und natürlich nach höchsten Sicherheitsstandards geschützt vor Diebstahl und Zerstörung durch Vandalismus oder Naturgewalten. Wer möchte angesichts dieser Möglichkeiten ernsthaft darüber nachdenken, ob diese Wolken wirklich frei und ungebunden am Wunschlos-glücklich-Himmel dahinziehen?

Bei näherem Nachdenken über die Schöpfer und Verwalter des digitalen Universums wirft die Wolkenpracht jedoch auch Schatten des Zweifels auf die gute alte Erde: „Microsoft, Apple, Google, Skype, Dropbox, WordPress, Telekom, die Ihr seid im Datenhimmel…“ Was ist, wenn Euer Reich tatsächlich kommt und Euer Wille geschieht?

Wollen gesellschaftlich informierte Menschen tatsächlich ihren Hirnschmalz unberechenbaren Konzernen wie den oben genannten zur Archivierung (und zur freien Nutzung) anbieten? Wie es scheint – ja. Denn mittlerweile werden es wohl Millionen sein – das eigene Beispiel hier spricht Bände. Doch: Wo findet sich die Alternative?

Ist nicht bereits die beglückende Möglichkeit, Menschen weltweit mühelos mit ebendiesem Hirnschmalz zu erreichen, das Killerargument gegen alle Fortschrittsverweigerer?

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die „Bezahlschranke” oder die
„Delete”-Taste sind mächtige Feinde der neuen Online-Seeligkeit.

Während zunächst allerorts viel Energie darauf verwandt wurde, Schätze aus Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft in virtuellen Museen online „zu sichern” und gleichzeitig einem großen Publikum zugänglich zu machen, stellt sich nun die Herkulesaufgabe, das Internet selbst vor dem Verfall durch Verjüngung und der Inbesitznahme durch Wirtschaftsmächte zu bewahren*.

Aber bieten staatliche Initiativen oder vielleicht die Opensource-Bewegung Perspektiven in der rasant fortschreitenden Inbesitznahme und damit einhergehenden Begrenzung des Internets durch geldmächtige Konzerne? Oder sollte man doch besser darüber nachdenken, zusätzliche Bücherregale auf fremden Planeten aufzubauen?

Ich weiß es nicht. Und Sie?

* Die deutschen Archivgesetze definierten ab 1987 die Archivierung digitaler Unterlagen als Pflichtaufgabe der staatlichen Archive, die Umsetzung dieses Auftrags läuft aber erst an. Im Jahr 2006 wurde das Gesetz zur deutschen Nationalbibliothek verabschiedet, das den Auftrag der Deutschen Nationalbibliothek auf die Archivierung von Websites ausdehnt. Auch die Bundesländer planen, ihre Pflichtexemplar-Gesetze in diesem Sinne zu ändern oder haben die Änderung bereits vollzogen.

Die größte internationale Einrichtung zur Web-Archivierung ist das Internet Archive in San Francisco (USA), das sich als Archiv des gesamten World Wide Web versteht. Zum Web-Archiv gehört die Wayback Machine („Take Me Back“), mit der man die gespeicherten Webseiten in verschiedenen Versionen abrufen kann.

Die Auswahl der zu speichernden Seiten erfolgt über den Dienst Alexa Internet. Der Gesamtumfang der Bibliothek berägt heute über 400 Milliarden Seiten.

Im Million Book Project werden durch das Internet Archive Bücher, die durch das Ablaufen des Copyrights (US-amerikanisches Urheberrecht) oder aus anderen Gründen gemeinfrei geworden sind, digitalisiert und zum Herunterladen zur Verfügung gestellt. Die Digitalisate sind Teil der Open Library.

(Wikipedia)