Ach, wie schön war Zollverein!

Burkhard Kainka

Gleich neben der Kokerei Zollverein, das ist der Ort, wo ich aufgewachsen bin. Der arme Junge, dachten vielleicht manche Leute fernab vom Ruhrgebiet. Aber ich fand es einfach nur gut. Das stimmt zwar, wenn man Pudding zum Abkühlen oder Hemden zum Trocknen auf den Balkon gestellt hat, dann waren da oft kleine schwarze Punkte drauf. Aber Dreck hat mich noch nie gestört.

Im Gegenteil, Zechenhalden und abgestellte Loren waren ideale Spielplätze. Einige der Halden brannten innen. Das Bergamt mag zwar nicht glücklich darüber gewesen sein. Aber man konnte einen Stock in die Halde stecken, und dann kam er brennend wieder raus. Und am Abend, immer wenn auf der Kokerei der Koks gelöscht wurde, dann stieg eine riesige Dampfwolke in den Himmel, rot angestrahlt vom glühenden Koks. Ich konnte gar nicht wegsehen.

Eigentlich bin ich ja in Braunschweig geboren.

Aber das war nur Zufall und lag daran, dass viele Leute, die aus dem Osten abgehauen waren, sich in Braunschweig wiederfanden. Auch mein Vater, weil der da Chemie studieren wollte. Und meine Mutter, die ihn da auf einer Uni-Fete gefunden hat. Das Studium lief noch, als die Kinder schon da waren. Aber dann musste Kohle her, und mein Vater hat sich für das Ruhrgebiet entschieden. Zuerst waren wir in Gelsenkirchen, direkt neben der Kokerei Alma, das war eine gute Zeit.

Und dann sind wir 1959 nach Essen gekommen. Da wurde gerade die Kokerei Zollverein aufgebaut, und mein Vater mitten dabei. Und dann war er im Labor der Kokerei. Da durfte ich auch mal rein. Ich weiß noch, wie es da gerochen hat. Morgens vor der Arbeit ging er immer einmal an die frische Luft. Da konnte er schon riechen, in welchem Teil der Anlage irgendwas nicht stimmte. Schwefeldioxid, oder mal Benzol, und einmal war alles in eine weiße Wolke gehüllt, war aber nicht so schlimm, nur Schwefelsäure. Aus der Gasleitung kam Kokereigas, das bestand im Wesentlichen aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Man konnte einen Ballon damit füllen, der stieg dann auf. Und manche Leute haben sich damit umgebracht, da flog dann das Haus in die Luft. Wer das heute noch versucht, hat keine Ahnung von Chemie, denn mit Erdgas ist nichts mehr zu machen.

Sonntags gab es oft Spaziergänge, die führten zu geologisch interessanten Orten, sprich Zechenhalden und sowas. Da haben wir versteinerte Blätter gefunden und auch eine Nuss aus Kohle. Und irgendwie ist dann immer alles im Dreck geendet. Die Mutter hat es mit Fassung getragen. Heute sind alle Halden saniert und grün, nichts brennt oder stinkt mehr.

Aber wenn du mal die Kokerei Zollverein besichtigst, dann geh ganz nah an die alten Koksöfen. Da riecht es noch so wie früher überall, einfach herrlich! Wenn man in den 60er und 70er Jahren aus dem Urlaub zurückkam, hatte man jedes Mal am Rande des Ruhrgebiets ein plötzliches Gefühl von Heimat, vermittelt über die Nase.

Später hatte ich dann fast jeden Sommer einen Ferienjob bei der Ruhrkohle. Abteilung Mess- und Regeltechnik auf Rheinelbe in Gelsenkirchen. Da wurden die Grubengas-Messgeräte (Methan, CH4) repariert, die Nachfolger der alten Grubenlampen und der noch älteren Kanarienvögel. Wer im Bergbau mal unter Tage schwer verletzt wurde, hat nachher oft einen Job über Tage gefunden, vielleicht in der Lampenstube oder auch in der Wartung von Geräten. Meine Kollegen waren ehemalige Bergleute und für die neuen Aufgaben speziell angelernt. Sie hatten die Erfahrung und haben mir gezeigt, wie man ordentlich lötet.

CH4

Ich hatte das Hintergrundwissen und konnte aus dem übrig gebliebenen Schrott andere Sachen bauen. Alles da für elektronische Motorrad-Blinkgeber, so konnte ich alle Freunde versorgen. Genügend Zeit für sowas war auch. Die wichtigste Regel lautete nämlich, man darf nie ganz mit der Arbeit fertig werden und muss immer dokumentieren, dass keiner überflüssig ist. Da konnte ich löten was ich wollte. Und wenn der Chef mal reinkam, wusste er es nicht so genau einzuordnen und war zufrieden, dass der Lötkolben dampfte. Und nicht mehr gebrauchtes Material gab es mehr als genug. So kam es, dass das Messgerät in meinem Kurzwellenempfänger etwas fachfremd in % CH4 geeicht ist.

Manchmal haben wir mit unserer Ausrüstung die Zechen des Ruhrgebiets besucht, Zollverein war auch dabei. Rein in die Lampenstube, wo auch die Akkus der Methanometer geladen wurden. Dann alle Geräte durchgeprüft, nachjustiert oder aus dem Verkehr gezogen. Einmal war ich mit bei einem Luftschacht. Der Lüfter hatte einen Elektromotor, der war größer, als dass ein Cowboy darauf hätte reiten können. Und die Transmissionsriemen bestanden aus Hanfseilen, uralte Technik. Da gab es ein stationäres Gasmessgerät, das wir austauschen sollten. Wenn nämlich unten zu viel Grubengas auftauchte, musste man von oben für mehr Wind sorgen. Alles immer unter 1,5% CH4 halten! Und wenn unten mal was Besonderes los war, dann kam oben jede Menge Dreck raus. Am nächsten Tag mussten dann alle Mantas neu geputzt werden.

Und einmal, nur ein einziges Mal, durfte ich mit unter Tage. Tausend Meter nach unten und dann durch lange Gänge. Streckenweise wurden die immer enger, sodass man kriechen musste. Das Gestein drückt von unten nach, wurde mir gesagt. Kann aber auch sein, dass die Stahlstreben von oben in den Grund gedrückt wurden. Als wir bei unserem Gerät ankamen, hat mein Kollege den Deckel aufgeschraubt. Ich durfte die Schraube halten, das war meine einzige richtige Arbeit an diesem Tag. Dann hat er festgestellt, dass der Elektriker noch nicht den Saft abgeschaltet hatte. Der war aber nicht zu finden, da konnten wir nichts machen. Also zuschrauben und wieder zurück nach oben.

Weil ich viele Jahre lang immer wieder im Sommer da war, konnte ich sehen, wie die Leute sich veränderten. Ein Kollege war Alkoholiker. Im ersten Jahr hat er noch gelötet. Aber das ging nicht gut, weil er zu stark gezittert hat. Wenn er ein Gerät repariert hat, hatten die Kollegen danach die doppelte Arbeit um es wieder in Ordnung zu bringen.

Er war dann nur noch als Fahrer zu gebrauchen. Hin und her durch das ganze Ruhrgebiet, Geräte abholen und ausliefern. Er kannte alle Wege und jede Zeche. Immer blau und absolut unfallfrei!

Abbildung: „Kokerei Zollverein IMGP4905 wp“ by -ani- (talk) – Own work.
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