Der Tamagotchi-Effekt

Man weiß nie wofür es gut ist. Dieser Satz gilt vor allem dann, wenn es um technische Neuerungen geht, um Erfindungen, die natürlich große Umsätze versprechen, und dabei die Menschheit auch noch beglücken sollen.

Eine dieser Erfindungen, das Tamagotchi, kam Ende der 90er Jahre aus Japan und überschwemmte die ganze Welt. Für alle, die es vergessen haben: das Tamagotchi war ein künstliches Küken in Form eines eiförmigen Minicomputers, um das man sich wie eine Henne kümmern mußte, damit es nicht starb. Oder genauer erlosch. Die meisten allerdings ließen sich mit einem Reset-Knopf wiederbeleben.

Damals gab es noch keine Smartphones, die Händies waren groß und klobig und konnten nicht viel mehr als telefonieren. Und so wurden sie auch benutzt. Erst unleidig, der Notwendigkeit gehorchend, als Medium der ständigen Erreichbarkeit. Das änderte sich sukzessive. Mit dem Smartphone aber erreichte die Telefonie etwas, das ich den Tamagotchi-Effekt nennen möchte.

Denn genau wie das digitale Tier bestimmt das Gerät, wann es benutzt werden will. Es gibt verschiedenste Töne von sich, die seinen Besitzer auffordern zu reagieren. Seien es sms, whats app, mail oder andere Funktionen, fast alle kündigen ihre Bereitschaft benutzt zu werden durch besondere Töne an.

Es tut sich etwas im Inneren dieser Maschine und der Mensch reagiert.

Beim Einkaufen an der Kasse, beim Essen oder mitten im Spiel mit den Kindern. Das Smartphone suggeriert eine Dringlichkeit, die ihm fast immer Vorrang gewährt, selbst wenn man gar nicht weiß, was inhaltlich auf einen zu kommt. So wird das Gerät zum virtuellen Lebewesen, das uns mitteilt, wann es heiß läuft, wann der Strom und damit sein aktuelles Leben zur Neige geht, und das Kommunikation zu großen Teilen nur mit sich selbst zuläßt.

Dabei steht es dem Benutzer mit allerlei Ratschlägen zur Seite, bietet Vernetzungen mit anderen Geräten und deren Benutzern an und erhält so ein Netzwerk des Datentransfers. In seiner endgültigen Bestimmung wird es zum verlängerten Arm des Menschen und damit Teil der Entwicklung anderen Ende der Cyborg steht, jenes Mischwesen aus Maschine und menschlichem Material.

Und da hat der Mensch noch kein einziges wirkliches Telefongespräch geführt.