Heiliger BimBam

… oder die Frage, wann dem kirchlichen Lärm endlich die Stunde schlägt. Doch zur Einstimmung erst einmal Christian Morgenstern:

BIM, BAM, BUM

Ein Glockenton fliegt durch die Nacht,
als hätt er Vogelflügel;
er fliegt in römischer Kirchentracht
wohl über Tal und Hügel.

Er sucht die Glockentönin BIM,
die ihm vorausgeflogen;
d.h., die Sache ist sehr schlimm,
sie hat ihn nämlich betrogen. (…)
(Das vollständige Gedicht vom Leid des BAM finden Sie übrigens am Ende des Beitrags.)

Dass Christian Morgenstern vermutlich durch einen kirchlichen Weckruf zunächst gestört und dann inspiriert wurde, ist sicher kein verwegener Gedanke. Er hat’s halt Läuten gehört und dann mit Humor genommen. Das verdient wirklichen Respekt.

Worüber reden wir also?

Läuten ist laut. Aufgrund der materiellen Beschaffenheit, des Gewichts und der Lautstärke ihres wichtigsten Lärminstrumentes ist die Kirche im Grunde wohl die eigentliche wirkliche ‚Heavy Metal’-Erfinderin.  AC/DC hat diese Tatsache mit einem ihrer berühmtesten Songs gewürdigt und das Thema Glocken in den angemessenen Zusammenhang gestellt:

Wir reden über Hells Bells.

Wir reden darüber, dass die Kirchen bis heute nicht nur die eigenen Schäfchen, sondern ihre gesamte Nachbarschaft mehr oder minder regelmäßig mit einem Krach zwischen 80 dB (A) und 100 dB (A) beglücken – einem Geräuschpegel zwischen Rasenmäher (80 dB) bis kurz vor Kettensäge (110 dB) also. In diesem Zusammenhang sei ganz nebenbei auf die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung hingewiesen, in der es heißt: „Bei Erreichen oder Überschreitung von 85 dB (A) ist Gehörschutz zur Verfügung zu stellen (§ 5 Abs. 2).“

Haben Sie schon einmal einen Gemeindepfarrer mit Ohrschutz gesehen? Wahrscheinlich nicht. Denn die Kirche darf nicht nur gegen geltendes Arbeitsrecht (z.B. auch Gleichbehandlung von Männern und Frauen), sondern auch gegen das Nachbarschaftsrecht verstoßen. In einigen Bereichen steht sie halt bis heute noch über dem Gesetz.

Nein, auch bei uns ist das Mittelalter nicht komplett überwunden.

Klagen genervter Kirchen-Nachbarn verzeichnen daher nur bescheidene Erfolge: Einen begründeten Anspruch auf Unterlassung der Lärmbelästigung gemäß § 1004 BGB haben Haus- und Wohnungseigentümer in bestimmten Fällen nur beim so genannten Zeitläuten, da dies nicht unter dem Schutz der Religionsausübung steht. So entschied das Amtsgericht Aschaffenburg. Zumindest weltliche Gerichte sind bereit anzuerkennen, dass im 21. Jahrhundert den meisten Menschen neben dem Gong der Kirchenuhr auch andere, moderne Zeitmessinstrumente (wie zum Beispiel Armbanduhren) zur Verfügung stehen, um sich im zeitlichen Tagesablauf zu orientieren. Immerhin.

BIM BAM Kirche schlägt Schalke und den FC Kray

Wenn es jedoch um die „rituelle“ Handlung geht, haben Ruhebedürftige keine Chance mehr: Auch und gerade am sonntäglichen Ruhetag müssen Christen wie Nicht-Christen erfahren, wann es Zeit zum Beten oder den Gottesdienst ist. Das Gespräch beim sonntäglichen Frühstück auf der Terrasse wird dann eben für ein gutes Viertelstündchen unterbrochen. Das ist auch eine Möglichkeit, Menschen zur inneren Einkehr zu veranlassen.

Man stelle sich nun aber vor, ich würde auf dem Dach meines Hauses einen geeigneten Lautsprecher installieren und dem sonntäglichen Glockenruf in gleicher Lautstärke mit AC/DC antworten. Hells Bells.

Ob man mir das dann wohl als rituelle atheistische Handlung bei der praktischen Ausübung meiner religösen Überzeugung durchgehen lassen würde? Ich fürchte nein. Dabei wäre es eigentlich nur Notwehr.

Neben den aufdringlichen Einladungen zum Kirchenbesuch muss ich jedoch auch noch an der kirchlichen Freude darüber teilhaben, wenn nach der Taufe ein neues Christen-Kind gewonnen wurde. Das ist in etwa so, als würde der FC Schalke 04 jedes neue Vereinsmitglied mit Fanfaren begrüßen. Zehn Minuten Vuvuzela-Tröten mit 90 dB (A) für einen neuen Knappen. Und das Fußballspiel, jetzt mal ehrlich, das ist nun wirklich eine rituelle Handlung.

Nein, das machen die nicht. Nicht mal bei Schalke. Noch nicht mal damals, als Papst Johannes Paul II. Ehrenmitglied wurde.

Ganz anders dagegen wurde den Zuschauern des FC Kray 2013 sogar gerichtlich verboten, während der Spiele ihres Vereins Hilfsgeräte zum Jubeln einzusetzen. Das war nämlich einer Anwohnerin zu laut. Und die war vor Gericht erfolgreicher.

Wozu der Kirchenlärm eigentlich?,
möchte man fragen…

An der Bibel kann’s nicht liegen, denn in Gottes Wort kommt das Wort ‚Glocke‘ gar nicht vor. Vielmehr heißt es in Psalm 37,7: „Sei stille dem HERRN und warte auf ihn.“ Auch von Jesus und seinen Jüngern ist nicht bekannt, dass sie Glocken zum Einsatz gebracht hätten.

Vehemente Verteidiger des Rituals verweisen dann gern auf die kirchliche Tradition. Also: Haben wir früher auch schon gemacht. Nun ja. Da müssen Hexen oder Ketzer wie ich am Ende wirklich froh sein, wenn die Kirche nicht noch ganz andere Traditionen wieder hervorkramt.

Auch mit ‚Nächstenliebe’ lässt sich das ohrenbetäubende, objektiv gesundheitsschädigende christliche Eifern letztlich kaum begründen.
Was könnte es also sein?

Eine plausible Erklärung findet man bei C.G. Jung: 

„Der Lärm schützt uns vor peinlichem Nachdenken, er zerstreut ängstliche Träume, er versichert uns, dass wir ja alle zusammen seien und ein solches Getöse veranlassen, dass niemand es wagt, uns anzugreifen. (…) Das, was in Wirklichkeit gefürchtet wird, ist das, was vom eigenen Inneren kommen könnte, nämlich all das, was man sich durch Lärm vom Halse gehalten hat.“

Befürworter des heiligen BimBam sollten einmal darüber nachdenken. In einer stillen Stunde am besten…

Und – das Kirchenläuten verbieten?

Um Gottes Willen. Nein. Mein Appell ist jedoch, es einfach verträglicher zu gestalten.

Die Idee: Eine App.

Jeder, der Freude an rituellen christlichen Handlungen hat, kann sie sich herunterladen und sich dann mit der Kirche und Gemeinde seines Vertrauens vernetzen. Das Geläut für die Hosentasche, gewissermaßen. Oder unters Kopfkissen, damit am frühen Sonntagmorgen nix schief geht.

Bei denen, die es möchten, läutet’s eben genau dann, wenn der Pfarrer es für angemessen hält. Und bei allen aber nicht.
Wäre das nicht ein Kompromiss? Wirklich praktizierte Nächstenliebe?
Liebe Vertreter der christlichen Glaubensgemeinschaften:

Sind es denn nicht am Ende die leisen Töne, die überzeugen?
Wie auch immer.

Hier nun endlich das oben versprochene vollständige Gedicht
von Christian Morgenstern:

BIM, BAM, BUM

Ein Glockenton fliegt durch die Nacht,
als hätt er Vogelflügel;
er fliegt in römischer Kirchentracht
wohl über Tal und Hügel.

Er sucht die Glockentönin BIM,
die ihm vorausgeflogen;
d.h., die Sache ist sehr schlimm,
sie hat ihn nämlich betrogen.

„O komm,“ so ruft er, „komm, dein BAM
erwartet dich voll Schmerzen.
Komm wieder, BIM, geliebtes Lamm,
dein BAM liebt dich von Herzen!“

Doch BIM, daß ihrs nur alle wißt,
hat sich dem BUM ergeben;
der ist zwar auch ein guter Christ,
allein das ist es eben.

Der BAM fliegt weiter durch die Nacht
wohl über Wald und Lichtung.
Doch, ach, er fliegt umsonst! Das macht,
er fliegt in falscher Richtung.

Christian Morgenstern