„Du hast ein DNS-Problem.“ – „Ah ja.“
Nein, ich bin nicht beim Arzt meines Vertrauens, der mir gerade die genetisch bedingte Einschränkung meiner Fortpflanzungsfähigkeit erläutert, sondern sitze vor meinem Monitor und lausche der Stimme in meinem Telefon. „Was ist ein DNS-Problem?“ frage ich dann.
„Hmmh. Tja…“ Am anderen Ende der Leitung: Timo P. aus G., mein persönlicher Internet-Guru.
Hintergrund des Problems: Stephan und ich haben uns einen Blog ausgedacht, mit allem was dazugehört – Name, Rubriken, Inhalte – auch die Wunsch-URL ist frei, Stephan richtet ihn ein, Bingo also, Freude, Freude – nur: Alles fertig und ich komme nicht auf die Seite.
„Server nicht gefunden.“
Mehr hat mein Browser nicht dazu zu sagen. Also gut. Browser zu, Browser auf, zweiter Versuch, URL eingeben: „dead-men-talking.de“. Antwort: „Server nicht gefunden.“ Oh. Also ganz von vorn. Speedport vom Netz. Zwei Minuten warten. Speedport wieder dran. Warten. Warten. Alle Lämpchen leuchten. Und: „Server nicht gefunden.“ Scheiße.
Stephan anrufen: „Ich hab’ ein Problem. Ich komm’ nicht auf die Seite…“ – „Versuch doch mal…“ Ich versuche. Gleiches Ergebnis.
Dann krame ich meinen alten Laptop aus dem Regal. Gefühltes Baujahr frühes 19. Jahrhundert. Aber er kann schon W-LAN. Komm, mein Lieber, jetzt zeig, was du noch drauf hast!
„Server nicht gefunden.“
Okay, du bist nicht mehr der Jüngste (mein Laptop), quäl dich nicht mit W-LAN – ich gönn dir jetzt das gute alte Netzwerk-Kabel. Das gelbe. Und dann: Nein. Doch. Da ist er! Mein Blog! Unser Blog. Es geht. Irgendwie. Mit einer Firefox-Version, die mein Großvater noch installiert haben könnte. So sieht’s dann auch aus. Ziemlich zerschossen. Aber wurscht. Hauptsache: Ich kann die Seite erreichen.
Jetzt darf auch der große Rechner wieder ran. Der ist immerhin aus diesem Jahrtausend. Auch mit Netzwerk-Kabel. Aber ganz, ganz vorsichtig. Neustart. Cache leeren. Firefox zu. Firefox wieder auf. Mit zittriger Hand tippe ich in die Browser-Zeile: http://www.dead-men-talking.de – Antwort: „Server nicht gefunden.“ Hass. Wut. Verzweiflung. Mordgedanken. Aber wen genau? Nochmal Stephan anrufen. Stephan kennt sich erstens besser aus und kennt zweitens auch noch Leute, die sich noch besser auskennen. Einhellige Meinung: „Das kann nicht sein.“ Ist aber. „Was soll ich denn jetzt machen?“ Schweigen. Noch mehr Schweigen. Dann: „Ruf’ mal den Timo an. Mehr weiß ich auch nicht.“
Also Timo. Freizeichen. Freizeichen. Freizeichen. Keiner da. Und was jetzt? Kaffee kochen. Rauchen. Noch einen Kaffee kochen. Dann: Das Telefon schellt. Gott segne die Anruflisten.
„Hi, wie geht’s?“ – „Hi Timo, ich hab’ ein Problem…“ Lange Erklärung, viele Fragen, kurze Antwort: „Sowas kann schon sein…“ Beruhigend. Wenn so was so sein kann, kann es ja auch eine Lösung geben. Hoffnung keimt auf.
„Da müsste ich aber mal auf deinen Rechner gehen.“ – „Wie, auf meinen Rechner gehen???“ Timo erklärt’s. Ich folge, treu ergeben. Und dann, wie von Geisterhand, bewegt sich der Mauspfeil über meinen Rechner. Gesteuert von Timo. Aus Köln? Aus Düsseldorf? Vom Niederrhein? Den Philippinen? Keine Ahnung, er hat vom Handy zurückgerufen. „Timo, du siehst jetzt also alles auf meinem Rechner?“ – „Jaha.“ – „Und wenn ich jetzt Porno-Seiten aufhätte?“ – „Klar. Die auch. Würd’ ich also besser zumachen.“
Ich habe keine Porno-Seiten auf. Und auch sonst keine Peinlichkeiten. Von Geister-Timo-Hand öffnet sich nun ein Fenster. So wie im Fernsehen, wenn die gefährliche Computer-Welt inszeniert wird. Zeilen rattern runter, wie wenn man dem Zuschauer zeigen will: Jetzt zerstören böse Hacker diese Welt. Oder: Gute Hacker versuchen, die Welt zu retten. Was dann aber am Ende aufs Gleiche hinausläuft.
Noch ein Fenster geht auf. Systemeinstellungen. Der Mauspfeil huscht suchend über die Icons. „Timo, bist du das gerade, da in meinen Systemeinstellungen?“ – „Ja.“ – „Und?“ – „Ich suche das Icon ‚Netzwerk’.“ – „Dritte Zeile.“ – „Wo?“ – Stückchen weiter links.“ – „Zeig mal!“ – „Ich kann also auch – also so gleichzeitig – mit meiner Maus…?“ – „Na klar.“ Tatsächlich. Ich kann. Ich darf also mitmachen, bei diesem ganzen Hacker-Werk, und zeige ihm das Icon ‚Netzwerk’. „Ach da.“
Gott- und Guru-ergeben lasse ich das Ganze über mich und meinen Rechner ergehen. Wie beim Zahnarzt. Immer schön den Mund weit aufhalten. Der wird hoffentlich schon wissen, was er tut. Timo weiß es.
Zauberzahlen erscheinen in Fenstern, bei denen ich niemals wagen würde, sie überhaupt zu öffnen. Geschweige denn, irgendetwas darin zu verändern. Dann ist Timo fertig: „Ich habe das bei dir jetzt so eingestellt, dass die DNS-Anfrage über Google läuft.“ – „Was ist DNS?“ – „Also, das musst du dir so vorstellen…“
Jetzt hat Timo diesen milden, weise lächelnden Ton eines Grundschullehrers, der seinen Schützlingen klar machen muss, dass es nach der Zahl Zehn doch noch irgendwie weitergeht.
„Also DNS, das heißt ‚Domain Name System’.
Das ist wie ein Telefonbuch fürs Internet.
Du stellst eine Suchanfrage.
Dann schaut dein Provider, also das ist bei dir die Telekom, rein, ins Telefonbuch, und vermittelt dich dann an die Seite, die du suchst.
Jetzt in deinem Fall sagt die Telekom aber:
Diese Nummer gibt’s gar nicht.
Deswegen hab ich das jetzt so eingestellt, dass nicht mehr die Telekom, sondern Google für dich ins große Internet-Telefonbuch guckt.
Denn die finden das.“
– „Und warum die Telekom nicht?“ – „Das kann viele Gründe haben: Zensur? Eine Macke in deinem Speedport? Oder die Adresse von eurem neuen Blog hat sich noch nicht bei der ganzen Telekom rumgesprochen – die schnellsten sind’s ja nicht. Wer weiß das schon.“
Muss ich die Gründe wissen? Nein. Aber eins interessiert mich doch:
„Wenn das jetzt über Google läuft, hat das irgendwelche Nachteile?“ – „Naja, Google kann dann alle deine Suchanfragen sofort mitlesen.“ – „Das tun die doch sowieso.“ – „Im Prinzip ja. Aber wenn dir das klar ist, dann hat’s keinen Nachteil.“
Google. Telekom. Wie auch immer. Ist es nicht egal, von wem ich ausspioniert werde? Hauptsache, ich komme auf den Blog. Also ausprobieren. Firefox öffnen – und:
dead-men-talking.de
… da isser… mein Blog. Unser Blog. In voller Schönheit. Für mich das allerallererste Mal. Freude. Jubel. Luftsprung. Noch ein Luftsprung.
Und gleich die erste Story fertig.
Danke, Timo!!!